Eine Einschätzung zur Lage in der deutschen Autoindustrie.
Impulse von Christoph Gümbel, Future Matters AG
Deutschland im Herbst 2020: Corona ist wieder präsenter im Autoland Deutschland. Gegen Dr. Martin Winterkorn und Rupert Stadler laufen die Prozesse an. Die Staatsanwaltschaft hat ein Ermittlungsverfahren gegen Porsche wegen möglicher Manipulationen beim Spritverbrauch eingeleitet1). Mehr als 100.000 Stellen sollen in der deutschen Autoindustrie abgebaut werden. Kalifornien gibt bekannt, dass ab 2035 Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor nicht mehr zugelassen werden dürfen2), und New York will Kaliforniens Beispiel gleich folgen3). Norwegen will Verbrenner bereits ab 2025 verbieten4) und Schweden, Dänemark, Holland, Indien, Irland und Slowenien ab 20305). Das EU-Parlament beschließt schärfere Klimaziele, die sogar über die Forderung der Kommission hinausgehen und den Ausstoß von Treibhausgasen im Vergleich zu 1990 um 60% reduzieren sollen6)
Entwicklung der weltweiten PKW-Produktion
Andererseits entwickelt sich Porsches erste vollelektrische Sportlimousine Taycan trotz seines stolzen Preises zum Verkaufsrenner. VW startet die Auslieferung des lange erwarteten ID.3, stellt gleich darauf den ID.4 vor, und Tesla gibt einen neuen Produktionsrekord im dritten Quartal mit 145.000 Fahrzeugen bekannt7). Gleichzeitig werden in Shanghai, Berlin und Austin in bisher ungekannter Geschwindigkeit weitere Tesla-Produktionskapazitäten aufgebaut. Am 22.September, dem mit Spannung erwarteten „Battery Day“ verkündet Elon Musk, dass mit zukünftigen Batteriezellen die Reichweite um 54% erhöht und die Kosten um beachtliche 56% gesenkt werden können - und das ohne die Verwendung von Kobalt! Bis 2030 soll die Zellproduktion auf unvorstellbare drei TWh ausgebaut werden. Genug, um 20 Mio. Fahrzeuge plus riesige Mengen stationärer Energiespeicher zu produzieren8). Das wären annähernd doppelt so viele Fahrzeuge, wie der gesamte VW-Konzern im Rekordjahr 2019 ausgeliefert hat! So etwas hat die automobile Welt noch nicht erlebt. Eindeutige Zeichen für einen dramatischen Umbruch!
Bestandsentwicklung vollelektrischer Fahrzeuge in Deutschland
Der für 2020 erwartete weltweite PKW-Absatz wird lt. Bloomberg - sicher auch Corona bedingt - nur noch bei ca. 63 Mio. Einheiten liegen. Damit wären wir auf dem Niveau von 2012! Seit 2017 sinken die Produktionszahlen, während der Anteil von Hybrid- und vollelektrischen Fahrzeugen kontinuierlich steigt. In Norwegen wurden im September 2020 61,5% reine Elektroautos verkauft9). Zusammen mit Plugin-Hybriden machen elektrifizierte Autos damit nicht weniger als 81,6% bei den Neuzulassungen aus. In der Schweiz war das vollelektrische Tesla Model 3 das meist verkaufte Auto überhaupt10) und selbst im konservativen Deutschland konnten E-Fahrzeuge im dritten Quartal gegenüber Vorjahr um 145% zulegen. Im September 2020 lag der Elektroauto-Anteil lt. KBA bei den Neuzulassungen bei 8,0% und für den Zeitraum Januar bis September 2020 bei 4,8%11). Zusammen mit den Plugin-Hybridfahrzeugen haben immerhin bereits 10% aller in diesem Jahr in Deutschland ausgelieferten Neufahrzeuge einen Stecker.
Bis ein Fahrzeug entwickelt ist, dauert es i.d.R. fünf Jahre. Die Entwicklung von Autos, die 2021 auf den Markt kommen, wurden demnach in 2016 begonnen. Damals lag der Anteil der E-Autos in Deutschland noch bei verschwindenden 0,34%, aber es war bereits absehbar, wohin die Reise geht und dass am Elektroantrieb kein Weg vorbeiführt. Wurde der Trend also nicht erkannt?